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BERND KÖHLER UND EWO2 – IN DIESER STRASSE, das waterboarding-syndrom

CD DES MONATS – MAI 2015 – IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN LIEDERBESTENLISTE

Die LIEDERBESTENLISTE wird von Musik- und Rundfunkjournalisten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien gewählt und gilt als die heimliche HITPARADE des anspruchsvollen deutschsprachigen Chansons. Aus der jeweiligen CD DES MONATS wird am Jahresende die CD DES JAHRES ermittelt. >> ZUR WEBSITE DERLIEDERBESTENLISTE

 

 

David Wonschewski
für die Jury der Liederbestenliste

Die Spuren der Kriege, so schreibt Bernd Köhler in der Cover-Innenseite seines neuen Albums, ziehen sich bis in das Land, die Stadt, die Straße, in der du wohnst. Es gibt keine Auszeiten mehr, so Köhler weiter, wegsehen hilft nicht, die Einschläge kommen näher. Es wird Zeit, dass wir zur Besinnung kommen und uns dem Lauf der Dinge widersetzen.
Eine klare Ansprache ist das, die nicht überrascht, tritt Köhler doch bereits seit den mittleren sechziger Jahren als in erster Linie politischer Liedermacher in Erscheinung. Und darf spätestens seit dem Ableben von Franz Josef Degenhardt mit Fug und Recht als hervorstechendster Charakter dieser Songausrichtung verstanden werden. Und so macht Köhler auch auf „in dieser Straße“ das, was er im Grunde seit jeher macht: Aufrütteln, Missstände beim Namen nennen, Anklagen – immer wieder aber auch eingestehen. Dass ihm dabei die Themen nicht ausgehen, Bernd Köhler seine überwiegend linkspolitischen und antimilitaristischen Meinungen noch immer bemerkenswert frisch präsentieren kann, ist gleichermaßen seinem geschärften Blick wie der tagesaktuellen Lage zu verdanken. Denn die Einschläge, wer mag ihm da widersprechen, kommen tatsächlich näher. Und sie werden derzeit mehr, nicht weniger. Kippt in China ein Sack Reis um, so weit sind wir schon, so können wir uns in unserer globalisierten Welt schon lange nicht mehr den Luxus erlauben, wegzusehen, lustlos mit den Schultern zu zucken. Doch statt Aufruhr und Aufbegehren macht sich in unseren Breiten ein lähmendes Entsetzen breit, die bürgerliche Lust auf Engagement und Beteiligung verschwindet zunehmend.

Dieser geistigen Blockierung, dieser gesellschaftspolitischen Entfremdung sagt Bernd Köhler mit seinen Liedern den Kampf an. Das mag in seiner Grundanmutung ab und an ein wenig gestrig wirken, konfrontiert uns „in dieser Straße“ doch immer wieder mit aufrührerischen Gesängen und gleich einem ganzen Bündel knackig formulierter Parolen, wie es seit einigen Jahrzehnten doch so gar nicht mehr angesagt ist. Gerade dadurch aber – der Lauf der Welt gibt ihm nun einmal Recht – Köhler-Album für Köhler-Album notwendig.

Ja, es ist kaum abzustreiten, viele von uns haben sich längst einlullen lassen, zurückgezogen in uns selbst hocken wir in unseren Wohnungen, haben kapituliert, kommen kaum noch heraus. Nicht aus uns selbst und schon gar nicht mehr auf die Straße. Wie weit wir uns zurückgezogen haben, wird vor allem durch ein intensives Stück wie „Kennst du die neuen Städte“ deutlich. Ein sich langsam und bedrohlich entblätternder 7-Minüter, dessen Ursprung ins Jahr 1969 zurückreicht. Von Bernd Köhler damals geschrieben und nun frisch eingespielt, sucht man im Text nach einem Hinweis auf seine bald 50jährige Historie – und wird einfach nicht fündig. Leider. Gerade Köhlers eindringliche Vortragsweise und die zeitlos anmutende, sparsam hingetupfte Begleitung seiner Mitmusiker machen deutlich, wie schön es doch wäre, so wir dieses Lied tatsächlich als „gestrig“ abqualifizieren könnten. Doch genau das können wir nicht.

Kennst du die neuen Städte
Draußen vor der alten Stadt
Wo man keine Augen
Und auch keine Ohren hat
Wo man nichts mehr hören
Und auch nichts mehr sprechen kann
Ich frage euch, wer ist Schuld daran

Passte 1969, passt auch 2015. Ein poetisch angehauchter, textlich bewusst im Ungefähren bleibender Klangteppich, der zugleich als formvollendet ausgerollter roter Teppich für den sich direkt daran anschließenden Titeltrack fungiert, zeigt Köhler bei „In dieser Straße“ doch auf, was Entfremdung und Entmündigung aus uns werden lassen, welches Gefahrenpotential sich in jedem von uns entzündet, insofern wir unsere Teilhabe an der uns umgebenden Welt einbüßen. Ja, das Stück ist fraglos düster, berichtet Köhler hier doch von einem Mann, der nach außen hin funktioniert, während er im Innern zu nicht weniger als einer tickenden Zeitbombe mutiert. Köhler gelingt hier das textliche Kunststück seinen desaströsen Hauptcharakter gleichermaßen als geistig zerrütteten Herrn Jedermann, zugleich aber auch als rein deutsches Phänomen zu skizzieren. Ein Mann, getrieben von dunklen Dämonen, sich schließlich selbst aus dem Leben nehmend, so klaustrophobisch, so nah am Wahn gebaut, dass der in unseren Zeiten immer moderner werdende Menschenschlag der Verschwörungstheoretiker in Nuancen sichtbar wird. Zugleich gibt Köhler jedoch auch eindeutige Hinweise auf jenen düsteren Abschnitt unserer deutschen Geschichte als Kleingeistigkeit das Untier in uns erwachen ließ. Der zweite Weltkrieg, so lässt Köhler hier erahnen, ist vorbei. Das Geschwulst, das aus Menschen Monster werden ließ, ist jedoch nicht beseitigt. Es ist noch immer in vielen von uns angelegt.

Ein beeindruckend dunkles Stück ist dieser Titeltrack, derart dräuend, dass Köhler gut daran tut, seinen so intensiven Songreigen hier und da aufzubrechen. „Das ganz normale Ekel“ kommt textlich beispielsweise wie ein flockiger Bruder von „In dieser Straße“ daher. Auf fast schon hüpfende Weise spielfreudig, gerät „Das ganz normale Ekel“ gerade deswegen zu einem nicht minder treffsicheren Highlight, da Köhler die Geschichte vom in der Masse untergehenden, jedem müden Trend hinterherhetzenden, brav jeden erdenklichen Mist erduldenden Staatsbürger wie einen Witz intoniert. Dabei jedoch bewusst auf eine Pointe verzichtet, was das Stück, man mag es zu Beginn kaum glauben, am Ende fast noch bitterer werden lässt als „In dieser Straße“.

Ich weiß, Sie warten jetzt auf die Pointe
Doch gibt’s bei diesem Lied sie nicht, es ist
Ein Abziehbild des ganz normalen Lebens
Das, wie Sie wissen, Pointen glatt vergisst

Krieg, Zerstörung, Ringen um Selbstbestimmung, um Menschenwürde, ums Überleben – das sind die zentralen Themen, um die sich dieses Album dreht. Das klingt, so dahingeschrieben, zäh und kopflastig. Dass es genau das nicht geworden ist, das ist der große Pluspunkt dieser CD, hinterlässt sie doch gerade in ihrer überwiegenden akustischen Zurückgenommenheit, in der durchgängig anzutreffenden, sich so fein entspinnenden Poesie, ein Gefühl von Freude, von Liebe. Und auch von Lust aufs Leben.

David Wonschewski
»ein achtel lorbeerblatt«

 

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