<< zur Startseite

 

 

REDE ZUR TRAUERFEIER FÜR WILLI HÖLZEL

„Liebe Freunde,” schrieb Ines Krämer in einer Mail am 13. Oktober „Willi ist heute Nacht gestorben. Regina hat mich vorhin angerufen und darum gebeten die Nachricht weiterzugeben.

Ich habe ihn zuletzt vor 14 Tagen in Köln besucht, da sagte er, er glaube nicht, dass er das neue Jahr überleben wird. Er war sehr schwach und sein Blick aus wunderschönen großen Augen war schon nach innen gerichtet. Bis vor 3 Tagen haben wir telefoniert und gemailt. Seine letzte Mail an mich vom Dienstag bezog sich auf Fotos, die ich von seinem Garten hier in Leutershausen gemacht und ihm zugeschickt hatte:„Tolle Fotos, das bringt mich gut drauf.” Regina sagt, er war ruhig und gefasst.
Leider hatte er dann heute Nacht so große Atemnot, dass der Notarzt ihn noch ins Krankenhaus bringen ließ, wo sie ihm mit Morphium Erleichterung verschafften. Regina war bei ihm, als er starb.

Willi war ein wunderbarer Mensch. Ich kenne ihn seit über 40 Jahren, doch erst in den letzten 2 Jahrzehnten durfte ich ihn richtig kennenlernen.
Hinter seiner manchmal derben, provozierenden Art steckte ein sehr tief und differenziert denkender und fühlender Mann.
Nun kommt er nicht mehr zu mir an meinen Küchentisch zum anregenden Plausch - ich bin sehr traurig...”

Soweit, das berührende Mail von Ines.

Willi war an vielen Küchentischen zu Hause, bei Antonio und Doris in Tavira, bei Gerhard und Karin auf dem Land in Frankreich, bei Roswitha in den Bergen hinter Barcelona, bei Pavel und Tine in der Türkei, bei seinen Kindern Raul oder Kathrin, bei Julia in Hamburg, den kleinen Cosimo in den Armen, auf der Terrasse in Leutershausen oder bei uns im Garten auf dem Limburgerhof. Am liebsten bei Sonne, schmackhaften Speisen und ausgewählten Getränken. Willi liebte das Leben, die Menschen, das Singen, das Debattieren und das Organisieren. Er war kein Getriebener, der die Küchentische voller Unruhe ansteuerte, um sie gleich wieder zu verlassen, er interessierte sich für Maserungen, Kerben, abgeschabte Stellen, frisch aufgetragene Farben – Küchentische sind gut für kräftiges Austeilen wie für Feinschnitt – Willi nahm sich dafür Zeit.

Der liebste Küchentisch war Willi in den letzten Jahren aber der in der Straße mit dem wunderbaren Namen „Wolkenburgstraße” geworden – erinnert mich immer an das wundersame Werk von Wladimir Majakowski: Wolke in Hosen. Deine schöne, lichte Wohnung, Regina, wurde zu der euren, wurde Rückzugszone, kreativer Ort für das Kochen (auch so eine Lieblingbeschäftigung von Willi, ich glaube, er hat nichts ausgelassen in seinem Leben, vom Hammelhoden bis zur Blutsuppe, alles wollte erforscht und gekostet sein) und Ort für Debatten um Kultur, Politik oder einfach nur für Liebe, fürs Menschsein, Lesen, gute Musik hören, sich finden und erholen. Willi war ein Genußmensch, das ist es auch, was den Schmerz über seinen Tod nicht so groß werden lässt, er hat viel erlebt in seinem zu kurzen Leben und wir haben viel zusammen mit ihm erlebt. Das versöhnt.

Du, Regina hast Willi in den letzten Jahren begleitet. Ich sage bewusst nicht „in diesen schweren Jahren”, dafür hatte Willi zuviel Lust am Leben und ihr hattet neben den schweren Stunden auch viele heitere, wo die Angst vor der Krankheit entrückt war. Ihr habt euch nicht erdrücken lassen von der immer drohenden Gefahr und du hattest das Glück im Unglück - auch in den letzten Stunden bei ihm sein zu können.

Wir sind heute zusammengekommen, um uns von Willi zu verabschieden, manche hatten dieses Gefühl schon auf seiner letzten Einzelausstellung, im Dezember vor einem Jahr in Speyer. Willi hatte unter dem Motto „Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang” Fotos montiert und zusammengestellt, mit Klebestreifen an die Wand gepinnt. Fotos über die Schönheit und Vielfalt des Lebens und über das Vergängliche, über den Tod. Das war seine Art, sich zu stellen und sich stark zu machen. Ob das schon immer so war, weiß ich nicht, aber seit zehn, fünfzehn jahren war es so, wurde zu einer bewundernswerten Kraft und inneren Ruhe.

„Willem”, wie wir in unserer Region sagen, wurde 1947 in Leutershausen an der Bergstrasse geboren. Die Mutter war eine aufrechte und fürsorgliche Frau, die das Leben im Hintergrund organisierte. Der Vater war, so die Aussage von Willi, ein alter Nazi, der stets nach Österreich in Urlaub fuhr, um sich mit den alten Kameraden zu treffen - aber, und so ist Geschichte auch, er war ein findiger Kopf, umtriebig, immer an neuen technischen Entwicklungen interessiert, fuhr mit der automatischen Holzschneidemaschine hinaus zu den Bauern, erleichterte denen die Arbeit und verdiente so sein Geld. So ist Geschichte - das war das Zerreißfeld der Kindheit.

Willi und sein Bruder Karlheinz wuchsen auf dem Land auf und doch ging der Fokus bald Richtung Stadt. In Mannheim absolviert Willi eine Schriftsetzerlehre. Die Arbeiterstadt mit dem studentischen Milieu und die Schrift, die Typografie, werden ihn nie mehr loslassen. Ansonsten sieht Willi schon damals verdammt gut aus, ein schmaler, großer dunkler Typ und er soll im Domicil in Weinheim oder beim Colöa-Ball ein mitreißender und sehr gefragter Tänzer gewesen sein.

Nach der Schriftsetzerlehre beginnt er ein Studium an der Werkkunstschule Mannheim, entdeckt als Fotograf und Gestalter seine Rolle als Dokumentarist und Propagandist für die neue außerparlamentarische Opposition.

Es ist diese Zeit der großen Umwälzung Ende der sechziger Jahre. Die Jugend entzieht sich dem Zugriff des Staates, bildet eigenen Communities, organisiert sich und ihr Leben in Formen des Widerstands gegen ein System das den Krieg in Vietnam legitimiert, alte Nazis schützt und Antfaschisten verfolgt. „Der Lange” (auch so ein Spitzname aus dieser Zeit) ist Teil dieses Aufbruchs. Er geht diesen Weg zusammen mit Annette, findet durch sie bei Hedl oder Bill in Raidelbach auch eine neue, andere Form von Familie.

An der Werkkunstschule entstehen Künstlerfreundschaften, die ein Leben lang halten werden und bei den Debatten im Keller in F4 trifft er auf die Leute mit denen er ein Gegen-Lebensmodell versuchen wird - das Fotocol Mannheim. Ein Foto-grafisches politisches Kollektiv, Lebens- Arbeits- und Kampfgemeinschaft unter einem Dach, mit gemeinsamen Klamotten, gemeinsamer Kasse und vor allem, dem gemeinsamen Interesse die Revolution zu machen. Willi wird Kommunist.

Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an sie zu verändern (Karl Marx).

Unser Zuhause wird für 2 1/2 Jahre die Uhlandstrasse 3 in der Mannheimer Neckarstadt. Eine alte Villa mit genug Platz für uns und die zahlreichen Gäste. Eine tolle Zeit, mit Debatten und Aktionen. Wir leben und arbeiten zusammen, fahren in einem umgebauten Polizeibus in Urlaub nach Finnland, organisieren den Kampf um das selbstverwaltete Jugendzentrum, verwirklichen unsere Ziele, unser Leben, unseren Spass an der Sache - so lernen wir, uns zu finden, zu strukturieren und zu behaupten.

Das selbstverwaltete Jugendzentrum in Mannheim und die Zeit im Fotocol werden unser Leben nachhaltig beeinflussen und verändern und doch scheiterte das kollektive Projekt. Willi macht sich als Fotojournalist selbstständig und er, der „Urrumpel von der Bergstrasse” wie er sich oft halb ironisch, halb selbst schützend bezeichnet, nutzt das Angebot seiner Partei für ein Jahr zum Studum der politischen Ökonomie nach Biesdorf in die DDR zu gehen.

Dort verliebt er sich in Beate, mit der er die, na was wohl, Kultur für die Studierenden organisiert. Die Hamburgerin kommt mit ihm nach Mannheim, wo sie nie heimisch wird. Zusammen ziehen sie in einen der Hochhaustürme der Mannheimer Vogelstang. Der Blick ist weit, der Beton ist grau. Raul und Julia werden geboren aber die Ehe scheitert. Beate zieht mit den Kindern nach Hamburg.

Den Kontakt zu den Kindern nicht abreißen zu lassen, ist Willi ein großes Anliegen, auch nachdem er nach Köln umgezogen ist.

Dort wird er später das Atelier Lux72 mitbegründen, wieder ein kollektives Arbeits- und fast auch schon wieder ein Lebensmodell. Lux 72, eine Gestaltungshöhle, ein wildes Durcheinander von Entwürfen, Arbeiten, Skizzen. Ein aufwühlendes kreatives Eldorado, der Zeit entsprechend. Joachim Kubowitz ist mit von der Partie, der kommt aus Ludwigshafen und überhaupt wäre Köln ohne die Zuwanderung aus dem Süden in dieser Zeit ein kulturell verdammt armes Revier gewesen. So schuf man sich Heimat in der fremden großen Stadt doch zuvor lernt Willi Sabine kennen, zieht zu ihr in die (wohin sonst?) Pfälzer Strasse. Das Loft wird zu einem quirligen kulturellen Zentrum in der Südstadt. Kathrin wird geboren und ab und zu kommt die ganze Bagage auch in den Süden. Zur Oma in Leutershausen. Die bekocht, versorgt, schafft Raum für die ganze Familie und ist allen gut.

Ich erinnere mich an Feste und gemeinsame Urlaube mit Kind und Kegel und guten Freunden. In Italien oder bei der legendären Sommerakademie auf dem Limburgerhof. Es gibt auch wieder gemeinsame Arbeiten. Für die IG Metall, für Aktionen der DKP. Willi macht Fotos und entwirft Plakate für unsere musikalischen Projekte - je experimenteller umso lieber.

Eine Trennung zwischen Privat und Arbeit gibt es dabei nicht, die Kinder oder jeder der vorbeikommt biegt mit an Drahtgitter-Skulpturen für ein IG Metall-Jugendfestival oder wird für einen Flyertitel portraitiert. Menschen einbinden und zusammenführen. Das war Willis unausgesprochenes aber immer großes Anliegen. Zusammenarbeit war dabei oft auch eine Reise ins Ungewisse. Kunst braucht Freiheit im Entstehen, Verantwortung beginnt erst mit der Veröffentlichung, das wurde unser Prinzip.

Bei den zahlreichen experimentellen Text-Musik-Programmen nach 1990 ist Willi mir und Hans Reffert ein verlässlicher Wegbegleiter und Seismograph. Wenn es ihm gefiel, war es für uns gut, egal wie viele Leute zu den Aufführungen kamen. Oft ertappte ich mich beim Konzipieren oder Texten, dass ich mir überlegte, was er wohl dazu sagen würde. Das war wie eine virtuelle Korrespondenz.

Die letzten Jahre kümmerte sich Willi sehr um seine Mutter, besuchte, wenn er konnte die Kinder, ich erinnere mich an die riesige Freude, als Cosimo geboren wurde und verbrachte nach dem Tod der Mutter viel Zeit zusammen mit dir Regina oder alleine in Leutershausen, lebte mit dem Garten und in der umliegenden Natur. Es war eine besondere Form von Abschied nehmen, unspektakulär und ohne Aufhebens. Sein Interesse an Politik und den Menschen war bis in die letzten Tage hellwach.

Willis grafisches Lebenswerk ist ausser in seinen Produkten bis heute leider undokumentiert, deshalb geht mein Appel zum Schluß an alle, die mit ihm künstlerisch zu tun hatten, dieses zu bewahren und zusammenzuhalten, dass es zu einem späteren Zeitpunkt gesichtet und veröffentlicht werden kann. Der Gegenentwurf zur herrschenden Gesellschaft kann ohne die lesbare, sichtbare, hörbare Erinnerung nicht gelingen - Willis Arbeiten gehören auf jeden Fall dazu.

Ich möchte mit einer Strophe aus der letzten CD von Franz-Josef Degenhardt, den wir beide als Poet und Liedermacher sehr schätzten, enden:

„Jeder Traum, an den ich mich verschwendet
Jeder Kampf, da ich mich nicht geschont
Jeder Sonnenstrahl, der mich geblendet
Alles hat am Ende sich gelohnt.”

 

Bernd Köhler – Oktober 2012

 

-

2912 - SOIRÉE FÜR WILLI
Eine musikalische Hommage in Erinnerung an den im Oktober gestorbenen Fotografen und Gestalter Willi Hölzel wird es am 29. Dezember im Keller der Ludwigshafener Galerie HARTMANNSTRASSE 45 geben. Beteiligt sind u. a. Claus Boesser-Ferrari, Barbara Lahr, Hans Reffert, Bernd Köhler, Einhart Klucke und Käshammer und Nagel, „die Akkordarbeiter für alte Musik”. > Mehr lesen

-

 

>> Willi Hölzel - letzte Einzelausstellung in der Galerie „de la Gare”, Speyer 2011
>> Beteiligung - Ausstellung „Endstation, St. Josef's letzter Winter”, Bonn 2012